Lakeland University, Theater und Rock-Oper
Ist nicht meins! Habe mir unser jüngstes Gemeindeglied, Wesley, geliehen...
Soviel ist schon wieder passiert... am Dienstag habe ich mit Chris (in Englisch auch ein weiblicher Name, sie ist Mitglied des Kirchenrats) die Lakeland University besucht, eine Universität in der Nähe von Sheboygan, die eine starke Verbindung zur UCC hat - tatsächlich wurde sie von deutschen Protestanten hier als "Missionshaus" und Predigerseminar gegründet, bevor sie sich nach und nach erst zu einem College (einer kleinen Universität oder Fakultät) und dann zu einer Universität entwickelte:
Das Motto "Qui quaerit invenit" bedeutet: Wer suchet, der findet.
Wir kamen, um einem Vortrag einer Frau beizuwohnen, die sich auf politischer Ebene für Menschenrechte einsetzt. Der Vortrag an sich war ehrlich gesagt nicht wahnsinnig interessant, aber für mich war es vor allem wertvoll, mehr von der Landschaft Wisconsins zu sehen:
Man sieht, dass der Rasen oft noch grau-braun ist, da hier viel länger Schnee liegt als bei uns. Erst jetzt im April wird es langsam grüner. Wisconsin soll am schönsten im Spätsommer und Herbst sein...
Eindrücklich ist für mich, dass in Wisconsin in einer Square Mile (Quadratmeile, also wie Quadratkilometer) im Durchschnitt 100 Einwohner leben - in Deutschland 600! Das sieht man. Es ist einfach mehr Platz. Viele Häuser haben weiträumige Gärten und Rasen rundherum, die ganze Landschaft ist mit Bauernhöfen (engl. Farms) übersät, überall sieht man die berühmten rot gestrichenen Holzscheunen (engl. Barns). Viele dieser Bauernhöfe sind auch verlassen und bieten einige Ruinen-Romantik. Manch ein Tischler bedient sich auch an den alten Scheunen, um aus dem noch immer soliden Holz rustikal anmutende Regale herzustellen.
Auch in Gewerbegebieten sind Geschäfte und Restaurants nicht dicht an dicht, sondern haben großflächige Freiräume um jedes Haus. Dazu gehören auch Parkplätze - viele Parkplätze! Da es in den USA keinen nennenswerten öffentlichen Nahverkehr über den Schulbus hinaus gibt - tatsächlich sind Passagier-Züge systematisch reduziert worden in den letzten 100 Jahren - und stets große Distanzen zu überwinden sind, fährt jeder mit dem Auto. Es gibt zwar Radwege, diese sind aber größtenteils als Freizeit-Touren gedacht, also nicht von Ort zu Ort, sondern durch landschaftlich attraktive Gegenden. Auf den meisten Highways sind Räder natürlich nicht erlaubt (ähnlich wie auf der Autobahn), daher hätte man Schwierigkeiten, falls man versuchen sollte, seinen Arbeitsweg mit dem Fahrrad zu bestreiten.
Deutsche Autos sieht man derweil recht selten, denn diese (besonders BMW, Audi und Porsche) gelten hier als Luxusautos und sind entsprechend teurer. Man sieht sehr viele Pickup-Trucks (engl. nennt man sie nur Trucks) von verschiedenen Herstellern und sehr viele asiatische Marken, besonders Honda und Toyota, die die einheimischen Hersteller (besonders General Motors), die einst das Monopol hatten, teilweise verdrängt haben, weil sie bessere (vor allem langlebigere) und zugleich günstigere Modelle anbieten konnten. Das alte Problem von Monopolen: die Firmen werden dann faul und allzu gemütlich... und schließlich von der Konkurrenz bedroht – ist vielleicht auch ein Blick auf unsere Monopol-Kirchen in Deutschland wert...?
In den USA ist die Situation deutlich anders: selbst in einer 4300-Einwohner-"Town" wie Kewaskum gibt es drei oder mehr Kirchen(gebäude und -gemeinden), die unterschiedlichen Konfessionen angehören. In Kewaskum sind das die Katholiken, die Lutheraner und wir Unierte, und vermutlich gibt es noch weitere. In West Bend, dem Nachbarort, gibt es zwei Gemeinden unterschiedlicher lutherischer Richtungen, darüber hinaus auch Methodisten. All diese Gemeinden sind etwa gleich groß und aktiv. Daher ist die kirchliche Bindung hier eine ganz andere und kann entsprechend wechseln, wenn man mit den Inhalten oder leitenden Personen der eigenen Gemeinde unzufrieden ist: man sucht sich eben eine andere Gemeinde, die besser passt. Das heißt aber nicht, dass solch ein Wechsel an der Tagesordnung ist: er ist meist das Ergebnis von schmerzhaften Konflikten, die eine deutliche Zäsur in der eigenen Biographie bilden. Aber das Bewusstsein, dass es zahlreiche Alternativen gibt, selbst in kleineren Orten, macht eben viel aus. Da immer noch 70-77% der Amerikaner Mitglied einer Kirchengemeinde sind, und Gemeinden im Durschschnitt 500-700 Mitglieder haben, kann man sich die Anzahl von Gemeinden ungefähr ausrechnen je nach Population.
Man muss dazu sagen, dass die Amerikaner deutlich beweglicher sind, wenn es um Fahrwege geht. Hat man sich eine Gemeinde ausgesucht, die zu einem passt, nimmt man Fahrtwege von 15-30 min und mehr selbstverständlich in Kauf, um Veranstaltungen der Gemeinde zu besuchen (da in den USA Distanzen grundsätzlich größer sind, wie oben beschrieben, geht es auch gar nicht anders). Zu einem Sonntagsgottesdienst hier (100-150 Besucher durchschnittlich) kommen fast alle mit dem Auto angereist. Viele der Mitglieder kommen aus benachbarten Orten her. (Man merkt an all dem, dass die USA noch viel mehr als manche europäische Länder auf das Auto fixiert sind - Alternativen werden selten diskutiert oder in Erwägung gezogen!)
In unserer Kirche finden Sonntags immer zwei Gottesdienste statt: einer um 8.00 Uhr und einer um 9.30 Uhr. Der erste ist meist deutlich spärlicher besucht, doch beide Gruppen halten sehr treu an ihren Uhrzeiten fest (die "Eight o'clock crowd" (Acht-Uhr-Leute) würden nur ungern "ihren" Gottesdienst aufgeben!). Parallel zum zweiten Gottesdienst gibt es für Kinder die Sonntagsschule, die unserer Christenlehre ähnelt. Die älteren Kinder (6.-8. Klasse) starten zur gleichen Zeit, die jüngeren bleiben bis zur Predigt im Gottesdienst. Abendmahl (Communion) findet hier immer vor der Predigt statt und die Kinder nehmen daran teil. Dies geschieht als Wandel-Abendmahl oder indem die Gaben von Helfern zu den Menschen am Platz gebracht werden. Und ja, dabei werden die "Shot-Gläschen" für den Traubensaft verwendet. (Es wird kein Wein verwendet, um Kinder, Jugendliche und ggf. trockene Alkoholiker nicht auszuschließen oder unnötig in Aufmerksamkeit zu bringen.) Das Brot, das gewöhnlich von Erics Frau gebacken wird, ist ein leicht süßlicher Zopf(kuchen). Als ich in den ersten Tagen noch bei Eric zuhause wohnte, füllte der Geruch von frisch gebackenem Zopf das ganze Haus am Vorabend des Sonntags - himmlisch!
Allerdings, an dieser Stelle sei's gesagt: ich vermisse doch ein wenig unser Abendmahl im vertrauten Kreis vor dem Altar... Es hat etwas Würdevolles und Intimes, als Pfarrer, Vikar oder Prädikant jedem Besucher persönlich in die Augen zu schauen und die Gaben reichen zu dürfen. (Der Tischdienst als Urdienst der Kirche!)
Dabei denke ich: Kaum zu glauben, dass ich schon einen Monat hier bin! Schon jetzt denke ich: oh nein, schon 1/12 der Zeit vorbei... es geht immer zu schnell. Eric und Laura jedoch helfen mir, die Zeit voll auszukosten: so sind wir am Donnerstag-Abend nach Milwaukee gefahren, um ein Theaterstück anzusehen ("Noises Out"), eine Komödie, die davon handelt, wie die Schauspieler eines Theaterstücks sich immer weiter verfranzen und zuletzt die ganze Produktion im Chaos versinkt. Leider durfte man in diesem Fall keine Aufnahmen machen.
Am Sonntag Nachmittag war ich zudem eingeladen (wieder auf dem Gelände der Lakeland University) zu einer Rock-Oper! Der Mann unserer Gemeindesekretärin ist ein Professor an der Uni und spielt den E-Bass der Band. Die Rock-Musik und farbenfrohe Darbietung war ein sehr unterhaltsames Erlebnis, obwohl (und weil!) es von Laien organisiert und gespielt wurde:
Unsere Kantorin hat mich auch angesprochen, ob ich mal ein paar deutsche Lieder oder zumindest mir bekannte Melodien einbringen wolle, und daher schauen wir im Moment, wie wir ein paar Orgelbücher aus Deutschland organisieren können - Theresa Bönisch stellt gerade ein Paket zusammen.
Was mich immer wieder nachdenklich macht ist unsere Beziehung zur Kirchensteuer und unser hierarchisches Verhältnis zum Konsistorium... hier, wo die Gemeinden selbst die Pfarrstelle finanzieren, können die Gemeinden eben auch entscheiden, ihren Pfarrer "im Dorf" zu behalten - wenn sie die finanziellen Möglichkeiten haben. Alles wird aus Spenden der Mitglieder finanziert. Es gibt keine automatische Mitgliedschaft per Einwohnermeldeamt - jede Mitgliedschaft ist eine persönliche Entscheidung für die entsprechende Gemeinde, jede Spende fließt zunächst nur in diese Gemeinde. Der Kirchenrat kann dann entscheiden, einen Anteil der eigenen Finanzen für das regionale Kirchenamt (unser Konsistorium) abzugeben, das in diesem Sinne eine rein dienende Funktion einnimmt: sucht beispielsweise eine Gemeinde einen neuen Pfarrer, so wird die Regionalebene eingeschaltet, um Pfarrer und Gemeinde einander zuzuführen (wie bei uns), aber sie kann nicht über Gemeinden oder Pfarrer verfügen, geschweige denn der Gemeinde oder dem Pfarrer irgendwelche Gebiete zuweisen...
Letztlich bedeutet es aber eine komplette Umschichtung von Einsatz und Kompetenz: das Konsistorium ist keine Kontroll- oder Regierungsinstanz, das heißt aber auch, dass die Gemeindeglieder vollen Einsatz (finanziell und ehrenamtlich) zeigen müssen. Man kann den Pfarrer "im Dorf" behalten, aber es müssen eben auch alle mit 100% dabei sein. Es gibt insofern keine passive Mitgliedschaft, wo man einfach nur auf dem Papier Mitglied ist und sonst keine Beziehung zur Gemeinde hat. Insofern haben Gemeinden hier allgemein deutlich weniger Mitglieder (wie gesagt: 500-700 statt unsere 1200-3000), aber diese haben fast alle einen sehr aktiven und lebendigen Bezug zu dem, was in der Gemeinde passiert. (Die bekannten Mega Churches mit 10.000 und mehr Mitgliedern sind natürlich wieder eine ganz andere Geschichte...)
Zugleich muss man sagen, dass es ähnliche Entwicklungen gibt: auch in den hiesigen Gemeinden war der Gottesdienstbesuch, die Mitgliederzahl, Zahl der Konfirmanden etc. vor 40 Jahren noch höher. Die 70-77% landesweite Kirchenzugehörigkeit nimmt stetig ab, wie bei uns. Man kann durchaus behaupten, dass die USA - in dieser Hinsicht - schlicht eine Generation weit von unserer Situation entfernt sind.
Was ich dennoch sympathisch (und ... wegweisend!?) finde, ist, dass die Gemeinden sich größtenteils selbst verwalten, daher auch ein anderes Selbstbewusstsein haben und eine sehr engagierte Mitgliedschaft erfordern. Schärfer formuliert: Kein Jammern und Zurücklehnen und hoffen, der Pfarrer oder das Konsi werden's richten: die Gemeinde vor Ort steht in der Verantwortung; alle machen mit, alle entscheiden mit und alle bringen sich ein. Ist das vielleicht ein Weckruf, den wir als Gemeinden in Deutschland brauchen? Und die Kirchensteuer eine Nabelschnur, die uns viel zu lange passiv und bequem gemacht hat?
Wie weit wagen wir den Sprung des Glaubens "leap of faith"?
Soviel "food for thought" erstmal für heute!
Take care and see you around... Jakob
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