Eine Hand hält das Handy, die andere das Bier (nicht im Bild)
Letzte Woche durfte ich wieder Zeuge von zwei ur-amerikanischen Erfahrungen werden: einem Baseball-Spiel und dem Memorial Day, der hier (ähnlich wie in Deutschland Pfingsten) ein verlängertes Wochenende bedeutet.
Während viele Menschen in Deutschland kaum mit Baseball vertraut sind (ich hatte jedenfalls keine Ahnung davon), ist dies ein Sport, mit dem viele Amerikaner aufwachsen. In Vorbereitung auf das Live Spiel im Stadion der "Milwaukee Brewers" hat mich die Jugendgruppe ein wenig über die Regeln informiert, indem wir Softball spielten, eine Variante von Baseball. Alle Regeln habe ich aber längst nicht kapiert! Hier nochmal das Spielfeld ohne meine Visage:
In der Mitte steht jemand und wirft einen Ball zu dem Ort ganz unten. Der schlägt ihn mit dem Baseball-Schläger irgendwohin und fängt an zu rennen. Es gibt sechs Spieler, die über das Feld verteilt stehen. Falls die den Ball zu fassen kriegen, bevor der Typ, der rennt, auf einen der Punkte kommt, so ist er raus. Falls der Ball sehr weit weg fliegt, kann der Typ, der rennt, einmal komplett ums Viereck laufen, das ist dann ein "Home-Run" und gibt viele Punkte.
Diese Beschreibung ist extrem vereinfacht, 1. weil ich vieles nicht kapiert habe, 2. weil es schwer ist, das zu erklären, ohne das grad ein Spiel läuft. Kurz gesagt, als ich dort in den Rängen saß, redeten Männer (!) von allen Seiten auf mich ein in gut gemeinten Versuchen, mir alle Feinheiten und Traditionen des Spiels zu erläutern, allerdings war meine Aufmerksamkeitsleitung bald abgestellt, sodass ich dazu nur freundlich nickte und stattdessen versuchte, das Spiel einfach zu beobachten. Es war nicht hilfreich, dass Bob, mein Nachbar, seinen Spaß damit hatte, frei erfundene Regeln zu behaupten, sehr zum Ärger seiner Baseball-begeisterten Kollegen! (Er meinte über seinen Freund Scott, er würde eher zulassen, Jesus zu beleidigen als Baseball.)
Das Spiel geht relativ langsam vonstatten und ist deutlich weniger körperlich als etwa American Football oder unser Fußball (nennt man hier, und nur hier, "Soccer"). Selbst die Amerikaner, mit denen ich sprach, sagten, dass das nicht viel Sinn macht, da man im American Football den Ball ja selten mit dem Fuß spielt!
Leider war das "Bier", das im Stadion erhältlich war, abscheulich. Während es im Staate Wisconsin durchaus anständige Brauereien gibt (daher auch der Team-Name "Brewers" - "die Brauer"), war die mir im Stadion angedrehte Substanz nur wässriges Gesöff bzw. ansonsten gibt es billige Mischbiere. Vielleicht habe ich auch die richtige Stelle nicht gefunden, falls es eine gab. Ich besuchte das Spiel zusammen mit einer UCC-Gruppe von Pfarrer*innen, unter denen kaum Biertrinker vorhanden waren (!).
Das Brewers-Stadion von außen, ein Riesending
Fast wichtiger als das Spiel ist aber, was vorher passiert: "Tailgating". Damit bezeichnet man die Tradition, vor dem Spiel auf dem Parkplatz zu grillen. In meiner Gruppe gab es Tacos (kleine mexikanische Teigfladen) gefüllt mit gebratenem Fleisch und verschiedenem Gemüse (also im weitesten Sinne sowas wie ein Döner). Das, muss ich sagen, war ein ziemlicher Gaudi, und schön, auf diese Weise wieder bekannte und unbekannte Gesichter zu sehen.
Die Milwaukee Brewers sind das professionelle Team des Staates Wisconsin und spielten gegen die Astros aus Texas (sie gewannen an diesem Tag - manche meinten, ich sei ein Glücksbringer!). So hat jeder Staat ein eigenes Baseball-Team, Football-Team, usw. Man sieht hier überall Leute mit den Farben und Trikots dieser Mannschaften, der Stolz auf den eigenen kleinen Staat und seine sportlichen Erfolge (hoffentlich) ist groß und wird mit viel Spaß und Augenzwinkern zelebriert.
Das Stadion der Brewers hat ein Dach, das sich bei Sonnenschein komplett öffnen lässt. Leider war es ein sehr windiger Tag, sodass es geschlossen blieb. Allerdings ist der "Raum" innen so groß, dass es kaum auffällt. Sogar Feuerwerk wurde drinnen abgefeuert, wenn es einen Homerun gab! In den Pausen gibt es tanzende Maskottchen zu sehen sowie einige Girls mit T-Shirt-Kanonen (ja, richtig gelesen), die Team-Trikots in die Zuschauerränke schießen (die Amerikaner und ihre Waffen...). Obwohl das Spiel nicht wahnsinnig spannend ist, versteht man, daraus eine unterhaltsame Show zu machen.
Bronze Statue vor dem Stadion
Zugleich sollte man wissen, was man tut als Baseball-Spieler: der Ball ist ziemlich hart und kommt mit 90 Meilen pro Stunde auf einen zu, wenn man der "Batter" ist – obwohl auch die Baseball-Schläger ("Baseball Bat") aus sehr hartem Holz sind, kam es in unserem Spiel einmal dazu, dass ein Schläger beim Kontakt in tausend Teile zerbarst!
Ein paar Fan-Baseballs, die es im Team-Shop zu kaufen gab
Auf diese Weise zum Baseball-Fan konvertiert, wollte ich mir gleich im Anschluss ein Trikot im Team-Shop kaufen, allerdings gibts die ab 130€ aufwärts, sodass ich dankend ablehnte und stattdessen ein Paar Baseballs als Andenken mitnahm. Die lederne Außenhaut liegt perfekt in der Hand, aber den abzukriegen, würde glaub ganz schön zwiebeln. Kein Wunder, dass die Helme tragen!
Aber erstmal genug zum Baseball. Dieses Wochenende, insbesondere Montag (für uns: Pfingstmontag) war Memorial Day. Dabei gedenkt man all der aktiven und gefallenen Soldaten in den vielen Konflikten, in denen amerikanische Truppen involviert waren / sind. Für viele, die im Militär waren oder Angehörige darin haben, ist dies der wichtigste Tag im Jahr! Da das amerikanische Militär eine riesige Maschinerie ist, die nicht nur Soldaten ausbildet, sondern unzählige Arbeitsplätze schafft, muss man sich bewusst machen, dass es einen ganz anderen Stellenwert hat als unsere Bundeswehr. Zugleich ist der amerikanische Patriotismus natürlich ohnehin befremdlich pathetisch für Europäer und uns Deutsche im Besonderen.
Zum Memorial Day werden Straßen sind überall mit amerikanischen Flaggen gesäumt (noch mehr als ohnehin schon), zudem werden es allerorts Paraden, Konzerte, rituelle Besuche von Politikern auf Gefallenen-Friedhöfen etc. abgehalten, oft verbunden mit Pathos-schwangeren Reden und Zeugnissen von Veteranen oder deren Angehörigen. Selbst Konflikte wie der Vietnam-Krieg werden recht einseitig aus amerikanischer Perspektive betrachtet (das Leiden der Soldaten wird hervorgehoben und ihr Heldentum). Dass man eine ganze Generation junger Männer in einem besinnungslos brutalen Krieg gegen ein bitter armes Volk verheizt hat, wird man da nicht hören. Man musste ja den Kommunismus irgendwie bekämpfen - oder?
Doch bei allem beißenden Sarkasmus können wir Europäer uns nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen. Was würde aus uns ohne den Schutzschild, den uns die Militärmacht USA über den Weg der NATO bietet? Die Bundeswehr hat zwar extrem moderne Panzer und Waffen, aber kaum Truppenstärke, geschweige denn viel Erfahrung mit bewaffneten Konflikten, falls es mal hart auf hart käme. Und seit letztem Jahr mussten wir in Europa leider realisieren, dass das keine Unmöglichkeit ist. Auch für die Ukraine sind die USA mit Abstand die wichtigste Quelle für militärische Hilfen gegen die russische Invasion.
So denke ich, bei allem Befremden, das wir manchmal empfinden, wenn wir den Nationalpathos der Amerikaner beobachten, ist es zugleich ein Pathos, der im Kern guten Werten verpflichtet ist - vor allem der Freiheit und der Demokratie. Auch wenn sich die Amerikaner mit ihren Geheimdiensten und Truppen nicht immer ehrenvoll verhalten haben, bin ich doch froh, dass sie auf unserer Seite sind. Realistisch betrachtet wird es in einer globalisierten Welt immer Supermächte geben - dann tausendmal lieber die USA als Russland oder China! Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht - wir profitieren immens von der amerikanischen Militärindustrie, da sie weiterhin der Garant für die internationale Sicherheit der NATO-Staaten ist. Ich denke, das sollte man bei aller berechtigten Kritik nicht vergessen.
Wo wir schon beim Thema Sicherheit sind - letzte Woche Montag besuchte ich eine Polizeistation in einem benachbarten Ort, Menomenee Falls. Der Polizei-Seelsorger dort ist Mitglied in unserer Gemeinde und führte mich herum. Man sammelt hier auch die Abzeichen von Polizeistationen aus aller Welt, auch eines aus Thüringen konnte ich darunter finden! Auch das Labor, wo beschlagnahmte Gegenstände auf Drogen und Fingerabdrücke getestet werden, wurde uns von dem zuständigen Beamten gezeigt; ebenso die Garage mit den Polizei-Autos (jedes mit einer Schrotflinte bestückt).
Die Beamten waren alle sehr freundlich. Ich muss aber sagen, so kurz nach unserem Besuch beim George Floyd Memorial (siehe letzten Eintrag) war mir eher mulmig zumute. Die amerikanische Polizei ist doch ein ganz anderer Club verglichen mit unserer Polizei. So zumindest mein Eindruck. Immerhin gab es eine Art Gedächtnismünze für mich:
Ehre, Respekt, Integrität. Mh...
Übrigens, für uns Kirchgänger noch bemerkenswert, wird Himmelfahrt und Pfingsten kaum gefeiert. Himmelfahrt ist kein Feiertag (Vatertag ist hier erst irgendwann im Juni), viele Kirchen begehen das gar nicht, und auch Pfingsten wird nicht besonders beachtet. Dazu ist der nationale Feiertag - Memorial Day - einfach zu wichtig; er überstrahlt die christlichen Feste.
Und noch etwas: man wünscht mir hier schon Happy Birthday, obwohl der Tag noch nicht dran ist. Dass man das in Deutschland nicht macht (bringt Unglück, nicht wahr?) wird mit Befremden zur Kenntnis genommen! Ist doch schön, all diese Verschiedenheiten wahrzunehmen... alles geht auch anders, und für andere ist anderes "normal"...
Soweit meine Eindrücke und Gedanken für diese Woche!
Lieben Gruß, Jakob
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