Am Mittwochabend hatten wir unsere erste Abendandacht unter dem Motto "Sacred Space" (Heiliger Raum), in dem wir etwas freier in der Musikauswahl sind und mehr Wert legen auf persönliche Geschichten und Diskussion. Karla, die Sonntags oft am Klavier sitzt oder andere Instrumente spielt, erzählte von einem Buch über Identität, das sie gelesen hatte, und wir über all die Dinge nach, die unsere Identität ausmachen und welchen Platz dabei unser Glaube und unsere "Identität in Gott" ausmacht - wenn vieles im Leben, was uns definiert hat, wegfällt - sei es durch eine Veränderung, durch Krankheit oder Alter usw. - was gehört zu den Sachen, die wir dann trotzdem noch "sind"? Seine Identität in Gott wurzeln zu lassen, ist auch relevant zu einem christlichen Begriff von unverlierbarer Menschenwürde: egal, was mit uns passiert in diesem Leben, in Gott ist jeder Mensch erkannt und gehalten.
Am Donnerstag ging es dann nach Green Lake, wo diesmal die jährliche Tagung der "Wisconsin Conference" der UCC stattfand - dabei versammeln sich Pfarrer und Kirchenräte aus dem ganzen Bundesstaat. Ich schätze, während ein Association Meeting eher wie ein Pfarrkonvent ist, ist das Conference Meeting wie eine Landessynode. Es gibt dann in ein paar Wochen noch die General Synod, also die Synode der UCC für die ganze USA. (Eric geht auch einmal im Monat zu einem Termin namens "Community of Practice", eine Art Pfarrergebetskreis, oder, salopp gesagt, Pfarrer-Selbsthilfegruppe.)
Jedenfalls ist das Gelände wunderschön. Wir waren ja vor ein paar Wochen schonmal auf der andern Seite des Sees im Daycholah Center, aber da war das Wetter noch nicht so traumhaft wie jetzt. Am ersten Tag hatten wir einen Workshop von Matt Miofsky zu seinem Buch "Let Go" (Lass los!), ein Buch über Kirche und Veränderung. Dabei verbindet er die verschiedenen Schritte von Veränderung, und wie wir damit umgehen, mit der biblischen Geschichte des Exodus: der Aufbruch, die Zeit in der Wildnis, und schließlich der Schritt in ein neues Land. Eines der Zitate, die bei mir hängen blieben, war: "Wir überschätzen oft, was es kostet, uns zu verändern, und unterschätzen, was es kostet, uns nicht zu verändern."
Ich fand Matts Vortrag und die Diskussionen mit ihm hilfreich, besonders weil es eine gute Mischung war aus sehr pragmatischen Erkenntnissen und zugleich einem Optimismus, der sich im Glauben verwurzelt weiß. Das Bild der Wildnis hing mir auch sehr stark nach: wie wir alle vor neuen Veränderungen eine Zeit in der "Wildnis" verbringen: orientierungslos, manchmal sich im Kreis drehend, durstig, angsterfüllt, und wie es bei Veränderungen, die nötig sind, oft erstmal schlimmer wird, bevor es wieder aufwärts geht.
Der Kappellenwaggon "Grace"!
Beim Spaziergang am Nachmittag fiel uns ein Eisenbahnwaggon auf, der mit einem kleinen Dach überdeckt auf dem Gelände steht. Dabei handelt es sich um "Grace", eine von vielen "Chapel Cars" (übersetzbar mit Kappellenwaggon). Zur Zeit des wilden Westens konnten so Prediger die vereinzelten und weit entfernten Orte erreichen, die zwar eine Eisenbahnstation, aber keine Kirche oder Pfarrer hatten. Der Waggon enthält eine Kapelle sowie das Quartier des Pfarrers und seiner Frau. Diese Waggons waren eine Erfindung der Baptisten und waren von 1891 bis 1948 in Gebrauch. An der Rezeption besorgten wir uns einen Schlüssel und machten uns ein Bild von der mobilen Kirche!
Eric blättert in der Bibel. Rechts ist ein Harmonium zu sehen,
die eingebauten Kirchenbänke enthalten Gesangbücher,
ganz oben die Glasaufschrift "God is Love"
Des Pfarrers Ehebett hinter der kleinen Tür mit dem gotischen Glasfenster.
Eine Toilette fanden wir nicht...
Überall gab es kleine Schränkchen, die in die Holzverkleidung eingearbeitet waren, auch ein kleiner Sekretär zum Predigtschreiben... Was für ein interessanter Lebensstil als "mobiler Pfarrer"!
Grace hatte sechs Schwestern mit den schönen Namen Evangel, Emmanuel, Glad Tidings (Frohe Botschaft), Goodwill (Wohlwollen), Messenger of Peace (Friedensbote) und Herald of Hope (Hoffnunsgbote).
Eric hat Spaß mit zu Bronze erstarrten Kindern
Abends gingen wir (Eric, unsere Kirchenratsvorsitzende Kathy und Pfarrerin Christine) zu Norton's, einer Traditionsbar in der Gegend. In Wisconsin gibt es neben den lokalen Bieren ein Traditionsgetränk namens "The Old Fashioned" (wörtlich in etwa "Der Altmodische"), das man hier in jeder Kneipe bekommt, eine Kombination aus Alkohol (meist Brandy, aber Whiskey oder Bourbon geht auch) mit einem Schluck Brause und Eiswürfeln. Wählt man die saure Variante gibts eine Gurke dazu (nicht Salatgurke, sondern Spreewaldgurke, die hier aber besonders sauer sind), sonst eine Kirsche. Überhaupt sind Eiswürfel in Amerika omnipräsent... das erste, was man in einem Restaurant bekommt, ist Wasser mit Eiswürfeln - immerhin umsonst!
Ein "Old Fashioned" – für mich als Süßzahn mit Kirsche (und Bourbon)
Gemütlicher Abend mit Blick auf den See
Am nächsten Morgen machten wir einen Spaziergang entlang des Sees. Neben dem Anwesen der Schauspielerin Anne Hathaway gab es bei dem schönen Wetter jede Menge Villen und Natur zu bewundern. Nebenan war auch ein Golfplatz - noch etwas, was hier ganz alltäglich ist - überall gibt es kleine und große Golfplätze.
Suchbild! Klickt mal drauf ... es gilt ein ganz besonderes Tier zu finden.
(Auflösung unten)
Am nächsten Tag eröffnete dann die eigentliche Synode mit einem "Business Meeting" - das ist der offizielle Teil im Plenum, in dem die verschiedenen Anliegen vorgebracht werden. Darauf folgte die "State of the Conference" Rede (sozusagen der "aktuelle Stand" der Landeskirche) von Reverend Franz Rigert. Franz ist der leitende Conference Minister - in einem sehr entfernten Sinne so etwas wie der Bischof oder Superintendent. In Amerika werden Pfarrer, neben Pastor, oft mit "Reverend" angeredet (Abkürzung "Rev."), was soviel wie "ehrwürdig" heißt. Es wird aber meist in einem etwas formelleren Sinne gebraucht als die Anrede "Pastor".
Überall auf dem Gelände waren solche Gedenksteine verteilt,
hier mit dem schönen Zitat vom Hohenlied Salomos:
Denn siehe, der Winter ist vorbei,
der Regen ist vergangen,
die Blumen erscheinen auf der Erde
und die Zeit des Vogelgesangs ist gekommen.
Hohelied 2,11-12
Über das ganze Gelände, das von den Baptisten betrieben wird, waren Gedenktafeln von Sponsoren verteilt sowie Gedenktafeln und -steine für Pfarrer, derer hier gedacht wird.
Es gab auch jede Menge Gänse (und ihre Hinterlassenschaften...)
Mein Mentor Eric und sein alter Studienkollege Andrew,
der heute die Finanzen der Landeskirche verwaltet
Beim abendlichen Bierchen musste ich feststellen, dass die Bar schon um zehn schloss, außerdem kostete ein kleines (Plaste-)Glas Bier fünf Dollar. Wenn ich da an unsere Vikarsabende im Predigerseminar denke, da wurden locker ein paar Kästen verschleißt (okay, schlechtes Beispiel). Aber ich habe schon den Eindruck, wir Deutschen sind deutlich andere Biermengen gewohnt als 1-2 Plastegläschen. Zudem ist Bier in Aludosen sehr allgemein üblich, auch für gute Biere. Und auch die Dosen und Flaschen sind kleiner als bei uns ... ob diese Zurückhaltung auch auf die Zeit der Prohibition (allgemeines Alkoholoverbot 1920-1933) zurückgeht...? Da vermisse ich die Abende in der Klause des Landkinos und ein ordentliches Bierglas in der Hand!
Immerhin gab es zum Geburtstag ein bissel Brot, Wurscht und Schokolade aus der Heimat:
Der Pfeffi überlebte nicht lange
Am nächsten Morgen (Sonnabend), bevor die Abstimmungsrunden begannen, habe ich mich dann von Chris abholen lassen, da ich noch meine Predigt für Sonntag schreiben musste. Hier könnt ihr in den Gottesdienst reinschauen:
Ansonsten durfte ich bei unserer Kantorin zuhause ein funktionierendes Grammophon aus den Zwanziger Jahren (!) bewundern und habe mir eine neue Polaroid-Kamera zugelegt, da ich ja ein Fan der altmodischen Sofortbild-Fotografie bin:
Mein Geburtstagsgeschenk an mich selbst
Was mein Auto betrifft, so bin ich nun vom Honda Odyssey (der zurück an Erics Töchter geht) umgestiegen auf einen Toyota Highlander - für mich auf jeden Fall ein Upgrade. Habe mich aber dennoch mal mit Lauras neuem BMW ablichten lassen - ein BMW gilt hier übrigens noch stärker als in Deutschland als Luxus-Auto.
Man nennt BMWs hier "Bimmer"
Soweit erstmal wieder... und hier noch die Auflösung des Bildrätsels:
Der Weißkopfadler (engl. Bald Eagle), das Wappentier der USA
Auf der Wartburg. Hallo ihr Lieben! Nachdem ich es nach Ostern wegen vieler anderer Tätigkeiten verpasst hatte, einen Blogeintrag abzusetzen, kommt dieser nun prompt nach unserer Reise. Es war ein wunderschönes Abenteuer, das Lily und ich uns erhofft hatten, und so ist es auch gekommen. Auch wenn die Temperaturen etwas unter den Erwartungen lagen, so war es doch die meiste Zeit schön und der Frühling in voller Blüte. Nun will ich gar nicht so viel Einleitendes sagen, und eher die Bilder sprechen lassen, doch zumindest eines: es hat mich sehr gefreut und gerührt, so viele Menschen wieder zu sehen, und zu merken, wie viele auch einen Weg auf sich nahmen, damit wir uns begegnen können - dafür danke ich herzlich. Alle, die ich nicht geschafft habe, zu sehen (wir hatten doch einen recht vollen Plan), hoffe ich dann beim nächsten Mal zu treffen. Auch wenn wir uns viel vorgenommen hatten, so war es doch auch eine Reise voller ruhiger Momente und wachsender Vertrautheit - eben all die Sch...
Hallo liebe Leute, nur mal ein Update aus dem täglichen Leben hier in den USA... inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass ich also mit einer halben Stelle an der Peace Church hier verbleibe und für einige Arbeitsstunden pro Woche als Seelsorger auch weiterhin in meinem "Altenheim" wohnen bleiben kann. Darüberhinaus werde ich im Laufe der kommenden Monate eine weitere halbe Stelle in einer Gemeinde in der Nähe suchen, aber zumindest die Grundversorgung ist erstmal gesichert. All diese Absprachen sind erstmal für ein weiteres Jahr (also bis Februar/März 2025) und dann kann man weitersehen. Über meine eigentliche Arbeit hinaus habe ich angefangen in eine Art Benefiz-Café zu arbeiten als Freiwilliger, also unbezahlt. Die Profite des Cafés gehen monatlich an einen guten Zweck in und um West Bend. Weiterhin biete ich monatlich einen Gottesdienst im Reha-Zentrum "Samaritan" (der gute Samariter sozusagen) an. Auch habe ich einmal für die Nachbargemeinde "New Hori...
Es schneit fleißig. Noch sind die Seen eher matschig als gefroren, aber bald wird's Zeit für Schlittschuhe. Liebe Lesenden, ich hoffe, ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen. Für mich wird es ein Jahr mit vielen Herausforderungen, da ich nun im Einzelnen aushandeln muss, wie mein beruflicher Verbleib hier in den USA aussehen wird, wo ich (weiter) wohnen kann, ob das Visum verlängert wird usw. Und ein eigenes Auto brauch ich irgendwann auch... Zunächst aber eine wichtige Ansage: ich werde 16.-30. April mit Lily Deutschland besuchen und hoffe, viele von euch wiederzusehen! Bis dahin genieße ich die Natur und den Winter, der nun mit jedem Tag kälter und verschneiter wird: das eröffnet Möglichkeiten für Schlitten, Schlittschuhe, Ski, Langlauf-Ski... und Eisfischen? Mal sehen, wieviel ich davon in den kommenden zwei Monaten abhaken kann. Weihnachten und Neujahr verbrachte ich mit Lily und ihren Eltern: Von Lily gab es zu Weihnachten Schlittschuhe - und einen selbstgemachten Ro...
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